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Wieder saß er auf einer Krankenhausbettkante. Die Schwester hatte ihm ein Bett zugewiesen.
Er stierte zur Decke,
auf die Kugellampe, die in gleicher Weise wie die in der Kurklinik
sein Bett
und den Raum zu beleuchten hatte.
Jetzt wurde es also ernst mit der Operation, morgen früh sollte er
drankommen.
Man würde seinen Bauch aufsch ...,
er wollte nicht weiterdenken, seine Fantasie würde wieder mit ihm
durchgehen.
„Ob die das alles so
hinkriegen werden?ˮ, fragte er die Kugellampe. Würde er aus der Narkose
wieder erwachen, würden ...
Ein Schlag durchfuhr ihn, plötzlicher Schmerz,
aufsteigender Druck auf Magen
und Kehle schnürte alles in ihm zusammen. Er tappte vor das Fenster
stemmte sich gegen den Rahmen, glaubte durch Milchglas zu schauen,
so verschleiert bildete sich das Geviert des Hofes ab.
Der graue Himmel
gab allem etwas Hohles und Tristes. Durchschwärmende Vögel.
Waren das Krähen? Plötzlich schien alles hoffnungslos,
er würde aus
dieser Falle nicht mehr herauskommen, oder er müsste jetzt einfach
seinen
Koffer packen und nach Hause fahren, dann würde
der liebe Gott
bestimmen, wie lange er noch weiterlebte und nicht die Ärzte. Warum nur
hatte
damals der Stahlhelm sein Leben gerettet,
wäre es für Gretl nicht viel
leichter gewesen, sie hätte, wie die vielen anderen Frauen auch,
irgendwann die nüchterne Nachricht erhalten:
Gefallen für Führer, Volk
und Vaterland!? Wie hieß das noch? Besser ein Ende mit Schrecken ...
Und die Nachkriegszeit war für Gretl ein
Schrecken ohne Ende gewesen,
genau wie für ihn. Fatale, zerstörerische Gedanken bäumten sich auf,
die keiner Hoffnung Raum ließen.
Er sah im Spiegel den, für den das
Fenstergitter in der Zelle unerreichbar, der Strick der Sträflingshose
zu kurzgewesen war.
Sah den,
der während des
Bewährungsjahres in
Polen
aus Angst,
die
schwere Hepatitis nicht zu überstehen, das Brückengeländer
zu übersteigen nicht in der Lage war.
Er warf den Mantel ab und kroch ins Bett, verkroch sich unter die
Bettdecke, zog sie über den Kopf,
krümmte sich zu einem Embryo, vor Schmerz und Kummer. Gretl würde morgen
kommen. Eine erneute Qual für sie. Sie durfte nicht kommen.
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Die Kugellampe schien ihm wie die gleißende Sonne, blendete, von
Flügelschlägen durchbrochen. Schwärme schwarzer Vögel, flatternd
verdunkelnd, in verschwommene Köpfe übergehend. Geräusche produzierend,
bekannte, doch nicht begreifbare, sich wieder entfernend,
prickelnde Wangen, kosend kühlende Hände, ins Mondlicht verlöschend.
Starrende Augen,
umherschwirrendes Gefieder, schwarz, Staub,
Dreck und Lehm, krachend, im Graben versinkend, zusammengerollt. Karl,
erst zwanzig, zerfetzt, das MG, zerrüttet alles, zertrümmert alles.
Mäntel, Blutspritzer, besessen von der Tötungsmaschine. Karl, warum er,
warum ich, ich bin gefangen, er ist befreit. Zellen, Türen, Gitter,
Eisenbolzen bohren sich in Stein, knirschen wie Scherben, die Kalender
ritzen, roter Steinboden, Blechnäpfe klappern,
Stahlhelmdröhnen, rinnendes Blut, warm, weich, die Wange
hinab, sich ausbreitender Schmerz, im Kopf, im Bauch,
im Magen, die Leber zerrinnt, Adern zerplatzen.
Auftauchen, ins zunehmende Mondlicht, die Kugellampe.
Wieder prickelnde Wangen,
fühlende Hände,
nein, streichelnde Hände.
Verschwindende Köpfe, wieder die gleißende
Sonne, die Kugellampe.
Verwundete Augen, verschlossen, ins Dunkel
getaucht, im Dunkel verschüttet, frei von Beschwerden, von Schmerzen
erlöst.
Leicht wie auf Wasser,
ins Wasser getaucht, von Finsternis berauscht, keine Angst vor Verrat,
Lüge und Hass.
Vor Bonzen, Richtern
und Verhören,
vor Generälen und Kanonen.
Das MG in der Ecke. Unendliche Stille.
Die Kugellampe, nur milchig weiß, nicht
mehr
geblendet, nur sahniger Schein. Weite, in strahlende Helle getaucht, federnd in leichtes Schwingen gebracht,
nichts mehr fühlend, nichts mehr leidend, nichts mehr hörend ...
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