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		Gretl saß vor ihrer 
		Schreibmaschine. Den Blick auf 
		die stenografierte Vorlage geheftet,  
		klapperten die Buchstaben auf das um die Rolle gefangene Papier. Sie war 
		als zuverlässige Bürokraft  
		anerkannt, und ihre Kolleginnen schätzten sie, 
		besonders die ihr gegenübersitzende,
		die sie bewunderte.  
		Wie Gretl ihr Leben allein mit vier Kindern 
		meisterte, schien Erika nachahmenswert.  
		Gretl hatte ihr manches von Rudl erzählt, allerdings nie, dass er im 
		Gefängnis saß, immer nur erwähnt, er sei noch in Polen interniert.  
		„Kommt er denn nun bald?”, 
		fragte Erika flüsternd, sich über den Tisch lehnend, als ob sie ihre 
		Gedanken erraten hätte.  
		Aus diesen herausgerissen schaute sie Erika an. Für Gertl fast zu einer 
		Freundin geworden, war sie somit die Einzige,  
		der sie von Rudls Nachricht berichtet hatte. Einen Umschlag ohne 
		Absender mit Marke und Stempel: POLSKA 12. 12. 54 fand sie  
		vor 4 Tagen in ihrem Briefkasten. Darin eine Ansichtskarte von Zielona 
		Góra, auf der Rückseite in Druckschrift ohne Unterschrift,  
		Gretl hatte seine Schrift sofort erkannt: KOMME NOCH VOR WEIHN.! Sie 
		hatte die Karte niemandem gezeigt, wollte die  
		Enttäuschung des letzten Jahres nicht noch einmal erleben. „Er 
		wird wieder nicht kommen”, hauchte Gretl mit erstickender Stimme.  
		Plötzlich drang verhaltenes Stimmengewirr vom Hof her durch das 
		geöffnete Fenster in ihr Büro. Gretl glaubte, Felix´ Stimme zu hören.
		 
		Sie hatte das Fenster erreicht, und im gleichen Moment hörte sie Felix 
		rufen: „He, Gretl, komm mal 
		zum Fenster und kuck, wen ich dir  
		hier mitgebracht hab!” Sie starrte hinunter, erkannte ihn nicht, sah nur 
		Evi, Jutti und Uli, die vor dem Cottbusser-Postkutscher-Bus 
		aufgereiht standen, daneben Felix mit einem Mann, den er jetzt, an den 
		Schultern fassend, mit ausgestreckten Armen vor sich aufstellte. 
		„Na, was sagste nu, 
		Schwesterherz?”, rief er ihr triumphierend entgegen. Der gleiche Schlag, 
		der sie bei den Wiedersehen im Gefängnis  
		fast die Besinnung gekostet hatte, fuhr ihr in die Glieder, der Fußboden 
		verlor sich. Sie hörte Erika fragen: „Iser das?”  
		Sie klammerte sich an das Fensterkreuz und konnte nur ein „Ja” stammeln. 
		Erika zog sie aus dem Büro, die Treppe hinunter und rief:  
		„Wir müssen ihn begrüßen!” Sie stürzten auf den Hof; Gretl war im 
		Begriff, sich in seine Arme zu werfen, sah aber in den offenen 
		Fenstern des Bürogebäudes die halbe Belegschaft der HO-Verwaltung, die 
		sie zwar kaum kannte, aber plötzlich glaubte sie, jeder  
		Einzelne würde sie kennen, würde wissen, dass sie ihren Mann begrüßte, 
		der wegen Spionage zu 12 Jahren verurteilt, nun begnadigt war.  
		Schuldig, aber begnadigt. Sie hielt inne, umarmte Rudl knapp, als wäre 
		er gerade von einem Drei-Wochen-Urlaub zurückgekommen. 
		Erika drängte sich dazwischen und schob sie in den Bus: „Komm, 
		fahrt jetzt sofort nach Hause, ich hol dir deine Sachen, warte!”  
		Die Kinder waren schon wieder eingestiegen, die vielen Köpfe an den 
		Fenstern verunsicherten sie.  
		Felix setzte sich ans Steuer und drehte sich zu den beiden um: „Nu, 
		wollter euch denn nich ma küss´n?”  
    „Komm, Felix, hör auf hier 
		vor den Kollegen Theater zu spielen”, entgegnete Gretl gereizt. 
		
		 
		        In 
		seiner unnachahmlichen Fahrweise kurvte Felix durch Cottbus. Uli hatte 
		sich den Beifahrersitz erobert.  
          Gretl und Rudl saßen 
		jetzt hinten in einer der Sitzreihen, stumm, sich zugewandt, die Hände 
		ineinander verschränkt,  
             in für 
		sie unfassbarer Erregung. 
		Er hatte sich auf den 
		Sitz gekniet, sein Kopf tanzte durch die Erschütterungen  
               auf den Unterarmen, die breit auf der Lehne lagen.
		
		Er betrachtete seine Eltern, die er so noch 
		nie gesehen hatte.  
                  
		Zusammen. 
		 
		 
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