Die Funktionäre saßen, drei an der Zahl, an einem Tisch, er gegenüber, einsam, auf einem
in der Mitte stehenden Stuhl des sonst leeren Raumes. Eigentlich zu weit entfernt,
den Abstand symbolisierend, der ihre Stellung zu der seinen ausmachte.
Wir haben Ihren Antrag vorliegen und wollen uns ein wenig mit Ihnen unterhalten”, begann der Ältere in der Mitte.
Wohl ein Gauleiter oder so was, dachte Rudl, in kackgelber Uniform. So wird sicher die volle Windel meines
erstgeborenen Sohnes aussehen. Die beiden daneben in Zivil waren in seinem Alter.
Sie haben schon dreimal unser mit großem Entgegenkommen formuliertes Angebot, in die Nationalsozialistische
Deutsche Arbeiterpartei einzutreten ausgeschlagen! Warum wollen Sie jetzt diesen Schritt tun?”
Wieso dreimal? Gustavs Frage zählten die mit. Woher wussten die davon, hat der denen das erzählt?
Wir hören? Oder sollen wir helfen? Haben Sie nicht in Berlin unserem verdienten Parteimitglied nochmals Ihre ablehnende
Haltung gegenüber unserer Bewegung bekundet?” „Wieso in Berlin?”, entfuhr ihm die Frage.

Ja glauben Sie denn, wir hätten Ihnen die gut gemeinten Angebote, unserer Partei beizutreten gemacht, ohne etwas über Sie zu wissen?
Glauben Sie denn wirklich, wir hätten nicht ihre Teilnahme an dem Lehrgang in Berlin wohlwollend begleitet, hätten nicht den
sehr guten Abschluss dort, wie den hier bei der Meisterprüfung zur Kenntnis genommen? Wir suchen uns gern unsere Mitglieder aus,
und es müssen gute, kompetente, in ihren Berufen erfolgreiche und hervorragend ausgebildete deutsche Männer sein,
damit wir gemeinsam unser Vaterland wieder stark machen. Jedoch zwingen wir niemanden zum Beitritt, das verbietet unsere Satzung.
Es hat uns aber schon verstimmt, dass Sie dreimal unser absolut wohlwollendes Herantreten an Sie in den Wind geschlagen haben!”
Rudl saß wie erschlagen auf seinem Stuhl.
Wussten die über alles Bescheid, vielleicht auch von seinem Gespräch mit dem Grafen?
Dass der Graf in einem ähnlichen Dilemma steckte, konnte er natürlich nicht ahnen. Er musste endlich einen zuverlässigen Verwalter haben.
Die Partei verlangte von ihm eine Ausweitung der Ethanol-Produktion, sonst würde man ihm die Rohstoffzufuhr beschränken.
Anfang des Jahres 1936 war die neue Heeresversuchsanstalt in Peenemünde eröffnet worden, dessen Leiter, Wernher von Braun, der Chef
für Raketenentwicklung, eine völlig neuartige Antriebstechnik für seine Flugaggregate entwickelte, bei der reines Ethanol benötigt wurde.
So sollten schnellstens die Kapazitäten der schlesischen Brennereien vervielfacht werden. Dieser Gustav Dreschler war dazu nicht in der Lage.
Auf Druck der Partei hatte der Graf also nicht den fähigsten Mann einstellen dürfen, sondern den Sohn eines hohen Parteifunktionärs.
Nicht dessen vermeintlichen Freund, der ohnehin sein Favorit war und den er mit dem Vertrag in Alt-Ellguth sozusagen für sich geparkt hatte.
   Beide waren in Berlin beobachtet worden, und die Art ihres Umgangs ließ die Partei zu dem Schluss kommen, es hier mit
      Homosexuellen zu tun zu haben. Da jetzt der eine geheiratet hatte, konnte es sich nur um den handeln, den er eingestellt hatte,
        zumal es aus der Partei dafür einige Signale gab. Also wollte der Graf mit der Unterredung Bewegung in die Sache bringen.
          Rudl, ruhiger geworden, ließ seine Gedanken ins Belanglose abdriften: Mit was für Heinis man sich doch
            rumschlagen muss? Mit Orden und Parteiabzeichen am Revers, einer kackgelben Uniform,
              glaubten die etwas darzustellen. Hatten die etwas Vernünftiges gelernt?
                Konnte man denn mit solchen Leuten Deutschland wieder stark machen?


weiter
zurück