Sie lagen eingegraben vor Wielun, bereit, die Stadt zu stürmen. Zwei polnische Jäger preschten
im Tiefflug über ihre Köpfe, und Erdsalven, Steine, Pflanzen, Wurzeln und geborstene Metallsplitter pfiffen,
alles verdunkelnd, in ohrenbetäubendem Krachen umher und bedeckten herabrieselnd ihre sie notdürftig
schützenden Mäntel und Planen. Ein paar Meter weiter, im Graben, war ein sofort wieder ersterbender,
furchtbarer Schrei zu hören, dann ein anderer nach einem Sanitäter.
Plötzliche Stille. Nur das sich entfernende Dröhnen
der beiden Maschinen war zu vernehmen, die nun über Wielun eine lange Schleife zogen, um erneut wieder angreifen zu können.
Zwei Sanitäter huschten geduckt mit einer zusammengefalteten Trage an der Stellung entlang. „Hier, hier!”, wurde gerufen,
und die Sanis krochen über den Aushub und sprangen in den Graben. Jetzt kamen die beiden Tiefflieger frontal auf sie zu, drohend,
den trockenen Ackerboden aufwirbelnd. Jeder versuchte, tief in die Schützengräben abzutauchen. Rudl zitterte vor Anspannung,
sollte es hier schon mit ihm zu Ende sein? Seine letzten Gedanken sandte er an Gretl und seine kleine Evi.
Die MGs ratterten über ihren Köpfen, jedoch folgte kein Abwurf mehr, und im Nu waren die Jäger über die Gräben hinweggefegt.
Die zweite Welle der Kompanie hatte inzwischen fieberhaft die Flak in Stellung gebracht und die wieder aufgetauchten, in den Gräben
hockenden Soldaten durften zusehen, wie sich ihre tödliche Bedrohung quasi in Luft auflöste. Zwei plötzlich erglühende Feuerbälle
fraßen sich in das Blau des Himmels, aus welchen gleißend glühende Feuerfahnen zischten, die langsam und geräuschlos erlöschend,
schwarz, zu Asche und Trümmer werdend, wie Regen auf den ausgedörrten Acker herabschwebten.
Er saß erhöht auf dem Aushub am Grabenrand, während die Sanitäter mit der Trage an ihm vorüberliefen.
„Ist´s schlimm?”, fragte einer, der sich gerade wieder seinen Stahlhelm aufsetzte.
Da is nix mehr”, hörte Rudl, „der hat´s schon hinter sich.”
Wie von einer erneuten Detonation erfasst, rutschte er hinunter, blieb zitternd zusammengekauert auf der nassen Erde liegen.
Er hatte die Angst noch in den Knochen, die ihn jetzt wie einen Epileptiker in Bewegung hielt. Walter, der Draufgänger, zerrte ihn
an den Revers der Uniformjacke hoch, drückte ihn gegen die Lehmwand und verpasste ihm rechts und links eine saftige Backpfeife.
„Hör auf!”, brüllte er ihn an, „wir sind hier im Krieg und nicht beim Räuber- und Gendarmspiel!”
Oberfeldwebel Toller kam herbei und brüllte ebenfalls:
Was ist hier los? Sofort alle Mann in die Positionen!”
Zu Befehl, Herr Oberfeldwebel!”, salutierte Walter. „Der hier hat nur die Nerven verloren.” Damit ließ er Rudl los, die Backpfeifen verfehlten
ihre Wirkung nicht, und Rudl versuchte stramm zu stehen, was ihm bei dem glitschigen Boden nicht gelang. Ein erneuter Warnschrei
sprengte die Szene:
Volle Deckung! Feindliche Fliegerstaffel!” Oberfeldwebel Toller sprang in den Graben und landete neben Rudl.
   Drohendes Grollen näherte sich. Sich weiter nach unten drückend verbargen alle ihre stahlhelmbewehrten Köpfe.
      Die Gesichter teilweise dicht an dicht, sah Rudl jetzt dem Oberfeldwebel direkt in die Augen, die starr und weit aufgerissen,
        genau wie die seinen, scheinbar Panik und Angst verrieten. Den festen Griff an seinem Oberarm spürend hörte er sein Flüstern:
          „Jeder hat Angst, wir müssen uns nicht schämen. Wer am lautesten schreit, ich habe keine, der hat am meisten!”
             An diesem Krieg wollte er nicht beteiligt sein. Aber er war es bereits. Er stellte für diesen Krieg Ethanol her.
               Die Produktion hatte er verdoppeln müssen, das erwartete die Partei, der Graf. Konnte er sich aus dem Staub machen,
                 indem er anderen das Kämpfen überließ? Wurde er so zum Kriegsdienstverweigerer?


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